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Neil Young und die Plattformwelt

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Der Mitgliederbereich von neunetz.com heißt Nexus (latein für u.a. „Verbindung“, „Zusammenhang“, vor allem aber: „Verflechtung“). Ein Grund, warum ich diesen Namen gewählt habe, liegt in einer banal erscheinenden, aber sehr fundamentalen Entwicklung, deren Effekte erster und zweiter Ordnung oft nicht unbedingt offensichtlich sind:

Es ist zunehmend alles mit allem verbunden. Weil Software und Internet Verbindungen, Programmierschnittstellen oder schlichte Links etwa, einfacher machen, gibt es mehr und mehr Verknüpfungen und daraus resultierende Rückkopplungen. Das heißt, immer mehr Angebote werden Umwelt für andere.

Jaja, es wird komplexer und vernetzter. Gähn.

Schauen wir uns das konkret an einem aktuellen Beispiel an.

heise online über Neil Youngs Weggang von Spotify:

Er wolle nicht auf einer Plattform präsent sein, die Fehlinformationen zum Coronavirus verbreite: Mit dieser Forderung hatte der Folkrock-Star Neil Young Spotify unter Druck gesetzt. Nun reagierte das Unternehmen und erklärte, die Musik des Kanadiers aus seinem Programm zu nehmen. Die Alben des Musikers sind nun entfernt; manche Songs wie „Heart of Gold“ und „Rockin‘ in the free world“, die auch auf Compilations und anderen Alben veröffentlicht wurden, sind aber nach wie vor auf der Plattform hörbar.

​Young stört sich zu recht an Rogans Falschinformationen zu den zugelassenen Corona-Impfstoffen:

Young hatte dem schwedischen Unternehmen zuvor vorgeworfen, etwa in Podcasts Falschinformationen über Coronavirus-Impfstoffe zu verbreiten.

Er hoffe, dass andere Künstler und Plattenlabel seinem Beispiel folgen, um die Verbreitung „lebensbedrohlicher Fehlinformationen“ über das Virus zu stoppen, schrieb der 76-jährige Musiker auf seiner Internetseite. Spotify mache etwa 60 Prozent seiner weltweit gestreamten Musik aus, die Entscheidung bedeute also einen großen Verlust für seine Plattenfirma. „Im Namen der Wahrheit“ sei er aber diesen Schritt gegangen. Zudem seien seine Stücke noch auf anderen Plattformen zu hören. Auf Spotify wird Young mit rund sechs Millionen monatlichen Hörern geführt.

Spotify hat 2020 Rogans Podcast, den populärsten Podcast im Westen, exklusiv für seine Plattform gekauft.

Now, hold on. Warum haben sie das überhaupt gemacht?

Spotify ist der einzige nennenswerte eigenständige Streamingdienst, der sich durchsetzen konnte,1 in einem Feld, das heute den Musikaufnahmenmarkt dominiert. Das ist für sich schon bemerkenswert aus verschiedenen Gründen.

Spotify wird dabei aus zwei unterschiedlichen Richtungen aufgerieben. Auf der einen Seite steht ein Oligopol der verbliebenen Majormusiklabel. Diese sind mit ihren jeweiligen Backkatalogen jeweils unersetzlich für jeden Streamingdienst. Heißt, jeder Streamingdienst braucht alle Majorlabel an Bord.2 Das ist der Grund, warum jeder Streamingdienst den gleichen Monatspreis hat. Das ist auch ein Grund, warum die Kreativschaffenden, also die Musiker:innen und Bands, vergleichsweise schlecht beim Streaming wegkommen. Die Majorlabels hatten bei den Verhandlungen alle Karten in der Hand und bestimmten, wie der Streamingmarkt auszusehen hatte. Das ist keine Verschwörung, sondern schlichte Analyse, die seit über 10 Jahren in der Branche bekannt ist. 2015 bekam die breitere Öffentlichkeit einen seltenen Einblick in die Geschäftspraktiken, als ein eigentlich nicht-öffentlicher Vertrag zwischen Sony und Spotify geleakt wurde. (siehe unter anderem The Verge)

Es ist ein Treppenwitz der Musikbranche, dass trotzdem bis heute sowohl die breitere Öffentlichkeit als auch selbst viel zu viele Musiker:innen trotz des öffentlich verfügbaren Wissens zu wenig Interesse an den eigentlichen Vorgängen in ihrer Branche haben, weshalb sich hier bis heute nichts geändert hat und die eigentlichen Schuldigen in den Debatten zur geringen Bezahlung aus den Streams an die Künstler:innen kontinuierlich ausgeblendet werden.

Wie dem auch sei.

Dieses einseitige Machtverhältnis zugunsten seiner Lieferanten führt bei Spotify dazu, dass zum Einen wenig Gewinn beim Unternehmen übrigbleibt (den nehmen die Labels, danke) und auch die Produktgestaltung auf der Musikseite begrenzt ist.

Die maximal restriktive Ausnutzung des Monopolrechts, das die Majorlabels als Rechtevertreter innehatten, hat ein innovatives und diverses Musik-Ökosystem verhindert. Das weiß man heute nicht mehr, aber Ende der Nuller Jahre, Anfang der 2010er gab es einige risikokapital-finanzierte Versuche, Musikdienste aufzubauen. Ein Kapitalgeber hat Jahre später einmal gesagt, diese Ära war ein simples Umschaufeln der Millionen von VC zu Majorlabeln, die das Feld schlicht ausgetrocknet haben.

Enter: Big Tech.

Der letzte Text meiner Kolumne zum digitalen Musikbusiness Anfang der 2010er in der Jahre später eingestellten Musikmarkt-Zeitschrift beschäftigte sich mit einer Vorhersage: Wenn die Majorlabels nicht aufpassen und die unabhängigen, dedizierten Musikstartups ausbluten lassen, werden sie irgendwann nur noch mit den Musikstreaming-Abteilungen der großen Tech-Konzerne verhandeln. Genau da stehen wir heute. Apple Music, Amazon Music und Google äh recherchiert den aktuellen Namen YouTube Music sind heute die großen Konkurrenten von Spotify. Alle drei sind jeweils strategisch vernachlässigbare Abteilungen in ihren riesigen Konzernen. Das ist weder gut für die Musik, noch gut für die Majorlabels, aber hier sind wir heute.

Hier ist auch die andere Seite, von der Spotify Druck auf sein Geschäft erhält. Diese Das-haben-wir-auch-noch-Abteilungen der Konzerne sind First-Party-Angebote auf deren Plattformen, auf denen Spotify als weitere App stattfinden muss: iOS, macOS, Alexa, Android.

Spotify befindet sich etwa in einem Rechtsstreit mit Apple, weil Apple Music zum Beispiel natürlich keine 30 Prozent In-App-Purchase-Gebühr abgeben muss, was in einem niedrig-margigen Geschäft wie Streaming (siehe oben) einen Unterschied wie Tag und Nacht oder Gewinnchen und Verlust macht. Und das kommt zu den Bevorzugungen durch die Plattform-Mutter an unterschiedlichen Stellen nur zusätzlich hinzu.

All das ist das Strategievorgeplänkel dafür, warum Spotify massiv in Podcasts gegangen ist. Podcasts sind thematisch nah an Musik -Audio!-. Podcasts werden nicht von meinem Oligopol kontrolliert, das Geschäftsmodell und Preis vorgibt und Differenzierungspotenzial wie Exklusiv-Verträge unterbindet.

Podcasts unterscheiden sich außerdem an entscheidenden Stellen grundsätzlich vom Medium Musik. Musik ist stark backkatalog-getrieben. Wir konsumieren Musik anders als etwa Filme oder Nachrichten. Netflix etwa kann auch ohne Disney-Blockbuster erfolgreich sein. Spotify und co. könnten das nicht, wenn ihnen wesentliche Teile der Musikkultur der letzten Jahrzehnte fehlen würden. Musik wird nicht einmal konsumiert, Musik wird wiederholt. Konstant.

Tatsächlich scheint die Bedeutung alter Musik gegenüber neuer Musik sehr stark zugenommen zu haben. Ted Gioia, ein Brancheninsider schreibt:

According to MRC Data, old songs now represent 70% of the US music market.

Das führt dazu, dass stärker in Backkataloge investiert wird, weil diese wertvoller werden und für die Bereitstellung de facto keine zusätzliche Arbeit von Seiten der Rechteverwerter mehr nötig ist, rent-seeking galore:

The hottest area of investment in the music business is old songs—with investment firms getting into bidding wars to buy publishing catalogs from aging rock and pop stars.

The song catalogs in most demand are by musicians in their 70s or 80s (Bob Dylan, Paul Simon, Bruce Springsteen, etc.)—if not already dead (David Bowie, James Brown, etc.).

Even major record labels are participating in the shift, with Universal Music, Sony Music, Warner Music, and others buying up publishing catalogs—investing huge sums in old tunes that, in an earlier day, would have been used to launch new artists.

​Das geht so weit, dass Musikmanager aus Copyright-Angst zugesandte Demo-Tapes neuer Musiker:innen gar nicht erst anhören, weil das zusätzliche Risiko späterer Klagen zu hoch ist3:

For example, the fear of copyright lawsuits has made many in the music industry deathly afraid of listening to unsolicited demo recordings. If you hear a demo today, you might get sued for stealing its melody—or maybe just its rhythmic groove—five years from now. Try mailing a demo to a label or producer, and watch it return unopened.

Wenn der Wert der Backkataloge steigt, steigt auch die Asymmetrie der Marktmacht im Musikmarkt. Zumindest für ein vergleichsweise kleines Unternehmen wie Spotify, das sein Streaminggeschäft nicht aus der Portokasse wie ein Hobby bezahlen kann wie es Apple machen kann. Podcasts wie jener von Rogan sind absolut entscheidend für die Zukunft des Geschäfts. Irgendwo müssen Differenzierung und Gewinne herkommen.

Neben den Hörer:innen, die der populäre Podcast auf die Plattform bringt, also auf der Hörseite Gewohnheiten erzeugt, erzeugt er auch Gewohnheiten auf der Werbeseite. Wer Werbung im meistgehörten Podcast schalten will, muss auch Werbung bei anderen Spotify-Podcasts buchen. Spotify bündelt sein Werbeinventar. (siehe The Verge) Spotify kann aktuell nicht auf Rogan verzichten.

Ich bezweifle, dass Neil Young so intensiv über das Geschäft von Spotify nachgedacht hat. Ich gehe aber auch davon aus, dass er sehr wohl davon ausgegangen ist, dass Spotify auf keinen Fall Rogan rauswerfen wird. Spotify wird weder potenziell Vertragsstrafen zahlen wollen, noch auf Reichweite und Werbeinventar von Rogan vor Ablauf der gekauften Exklusivzeit verzichten wollen. Noch werden sie an künftige Übernahmekandidaten aus dem Podcast-Sektor das Signal senden wollen, dass sie im Zweifel fallen gelassen werden, wenn populäre Musiker:innen mit den Podcasts ein Problem haben.4

Ich würde also nicht zustimmen, wenn etwa Elisabeth Oberndorfer auf Smart Casual sagt, dass Neil Young gegen Joe Rogan verloren hat. Im Gegenteil.

Young war der Ansicht, dass er mit seiner Musik nicht auf der gleichen Plattform vertreten sein kann wie jemand wie Rogan. Statt ein öffentliches Statement abzugeben und seine Musik abzuziehen, hat er Spotify zu einem öffentlichen Statement genötigt. Er hat das Unternehmen gezwungen, öffentlich Stellung zu beziehen. Er hat Spotify gezwungen, der Welt zu zeigen, dass sie nicht mehr an erster Stelle ein Musikunternehmen sind sondern im Zweifel auch andere Inhalte höher priorisieren als Musik.

Das war, ganz deutlich gesagt, ein brillanter PR-Move von Neil Young. Er hat damit maximale Aufmerksamkeit für seinen Standpunkt erhalten und Spotify gedrängt, die eigenen Prioritäten offenzulegen. Es ist zu vermuten, dass im Hintergrund mehr passiert ist als die öffentliche Verärgerung über gefährliche Falschinformationen zu Impfstoffen. Was auch immer zwischen Label und Spotify noch gerade passiert: Young hat seine Hand bestens gespielt.

Das alles heißt, eine Verbindung aus Tech-Zentrierung, Oligopol-Macht, Urheberrecht, Produktdiversifizierung und thematisch getriebenerer Online-Radikalisierung prominenter Menschen und ihrer Fans und den zunehmend wichtiger werdenden Inter-Plattform-Beziehungen haben uns hierher gebracht.

Alles ist zunehmend mit allem verbunden. Weil Software vergleichsweise einfach ausgebaut werden kann und Basis-Plattformen wie iOS und Android enorme Macht bedeuten und heute alles Richtung digital geht, häufen die Tech-Riesen massives Kapital an. Nachträglich decken sie alle Medienarten mit eigenen Angeboten ab, einfach weil es geht. Für kleinere, dedizierte Unternehmen führt diese Umweltsituation dazu, dass sie unter anderem sehr stark auf Differenzierung achten müssen, um den strukturellen Nachteil eines Drittanbieters in diesen zum Teil feindlichen Umgebungen auszugleichen. Also verwandte Produktkategorien mit, sagen wir, eigenen Dynamiken. Und das führt dann wiederum dazu, dass sich ein Musiker genötigt sieht, sich gegen Falschinformationen zu positionieren, die auf der selben App stattfinden, über die seine Fans seine Musik hören können.

Diese Kausal-Kette macht deutlich, dass wir auch in einer Welt der Kaskaden leben.

Ob Youngs Schritt wirklich spürbare Konsequenzen für Spotify haben wird, ist offen und eher unwahrscheinlich. Denn Folgen wird es nur haben, wenn Youngs Schritt weitere Pop-Musiker:innen inspiriert, ebenfalls Spotify zu verlassen. Der bekannte Musiker -und das ist wichtig, nur wer bekannt ist, kann sich das leisten- hat zumindest sein gesamtes Gewicht in die Waagschale geworfen.

Mehr zum Thema:


  1. Man kann maximal noch Deezer aus Frankreich nennen. Das war‘s. 
  2. Es handelt sich genau genommen also um ein maximal heterogenes Oligopol: Eine Gruppe von Monopolisten. 
  3. Ain‘t that some funny shit. 
  4. Das würde künftige Übernahmen unnötig teurer machen oder komplett verhindern und nur zu für Spotify ungünstigen Zusatzklauseln in den Verträgen führen. Die Opportunitätskosten sind einfach zu groß für Spotify. 
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